21. Februar 2024

Rückstellungen im Handelsrecht versus im Steuerrecht

Rückstellungen sind eines der spannenden Themen im Handels- und Steuerrecht. Herausfordernd ist insbesondere die damit verbundene Unsicherheit: Der Zeitpunkt wie auch die Höhe eines möglichen Geldabflusses sind offen. Und gerade im Jahresabschluss und in der Bilanzpolitik spielen die Rückstellungen eine wichtige Rolle.

Rückstellungen im Handelsrecht vs. Steuerrecht

Rückstellungen kommen aus betriebswirtschaftlicher, aber auch aus bilanzpolitischer Sicht eine wichtige Bedeutung zu. Sie sind untrennbar mit der Risikobeurteilung bzw. mit dem Riskmanagement verbunden. Zum Jahresabschluss ist zu beurteilen, ob der Umfang und Bestand an Rückstellungen den existierenden Risiken entsprechen.
 

Bestimmungen im Handelsrecht (OR)
Das Handelsrecht (genauer Rechnungslegungsrecht) bietet eine Art Legaldefinition, was als Rückstellung zu qualifizieren ist. Erstens bedarf es nach OR 960e eine durch ein vergangenes Ereignis bewirkte rechtliche und faktische Verbindlichkeit. Zweitens bedarf es eines Mittelabflusse in künftigen Geschäftsjahren, welcher wahrscheinlich sein muss. Der Begriff der Wahrscheinlichkeit ist unter Rücksicht des Vorsichtsprinzips zu interpretieren. In der Praxis muss mit professionellem Ermessen und mit Bandbreiten gearbeitet werden. Es werden in der Lehre und Praxis unterschiedliche Sätze verwendet. Weiter muss eine Rückstellung verlässlich schätzbar sein. Wenn diese Elemente erfüllt sind, besteht eine Pflicht zur Erfassung einer Rückstellung.

Typische Beispiele für Rückstellungen sind Prozessrisiken, Garantiearbeiten, Steuerrückstellungen, Rückstellungen für Bürgschaften oder Altlasten im Umweltschutz. Nicht zulässig sind wohl generelle Rückstellungen für Unternehmensrisiken, für welche kein spezifischer Anlass erkennbar ist. OR 960e III lässt auch Rückstellungen für Garantieverpflichtungen, Sanierung von Sachanlagen (!) und Restrukturierungen zu. 960e III ermöglicht ausserdem Rückstellungen zur Sicherung des dauernden Gedeihens des Unternehmens. Zudem müssen nicht mehr begründete Rückstellungen handelsrechtlich nicht aufgelöst werden.

Zweifelsohne bieten die Rückstellungen eine wichtige Quelle für die Bildung und Auflösung von stillen Reserven. Daher ist es unabdingbar, dass ein Inventar über die stillen Reserven geführt und unterhalten wird, damit der Verwaltungsrat oder das Leitungsorgan im Bilde über die stillen Reserven ist. Kurzum: Bei Rückstellungen ist zum Jahresabschluss zu prüfen, ob diese für spezifische Geschäftsereignisse zu berücksichtigen sind und die dargestellten Anforderungen nach dem Handelsrecht erfüllt sind.

Steuerrechtliche Überlegungen für Rückstellungen
Gemäss dem Massgeblichkeitsprinzip gilt die Handelsbilanz als Grundlage für die steuerliche Gewinnermittlung. Die steuerrechtliche Definition der Rückstellungen ist grundsätzlich enger als die handelsrechtliche, was dazu führen kann, dass handelsrechtlich zulässige Rückstellungen steuerrechtlich nicht akzeptiert werden. Kurzum: Das Steuerrecht als zwingendes öffentliches Recht geht dem Rechnungslegungsrecht in einem gewissen Sinne vor und kann sich auf denJahresabschluss nach OR auswirken.

Zugleich lässt das Steuerrecht nach DBG 63 Abs. 1 lit. d auch Rückstellungen für Forschung und Entwicklung bis zu einem Höchstbetrag von 1 Mio. CHF bzw. 10% des steuerbaren Gewinns zu. Somit schafft das Steuerrecht Anreize, Rückstellungen zu bilden, die im Rechnungslegungsrecht nicht unmittelbar vorgesehen sind.

Nach Erstellung des handelsrechtlichen Abschlusses sind die Rückstellungen im Handelsrecht auf Konformität mit dem Steuerrecht nach DBG 63 und den entsprechenden kantonalen Steuergesetzen zu prüfen. Differenzen bilden mögliche Aufrechnungsrisiken. Diese haben dann entsprechend eine Auswirkung auf die erstellte Rückstellung für kurzfristige Steuerschulden.

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Prof. Dr. Marco Gehrig und Steuerberaterin Rahel Leemann stehen Ihnen beratend zur Seite.